Experteninterview [Teil 2]: Verwendung von PE 100 RC für Trinkwasserleitungen

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2018-08-22 22:00:00


Sie sprachen den Aspekt der Resistenz gegen ein langsames Risswachstum an. Können Sie diesen doch etwas detaillierter erklären?

Ja, natürlich. Wenn bei einer offenen Bauweise ein steinhaltiger Grabenaushub wieder zur Grabenverfüllung verwendet wird, können kleine scharfkantige Steine zu punktuellen Belastungen des Rohres führen. Diese Beanspruchungen an der Rohraußenseite führen zu Spannungskonzentrationen an der Rohrinnenseite. Überschreiten die Spannungen die Festigkeit des Rohrmaterials, sind Risse die Folge. Die Zeitstandfestigkeit und Kerbunempfindlichkeit des PE 100-RC verhindern, dass Risse langsam durch das Material wandern und zum Versagen des Rohres führen.

Mit welcherLebensdauer können Stadrwerke planen, wenn Sie sich beim Neubau oder bei der Rehablilitation für den Einsatz von PE 100_RC Rohren entschheiden?
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Dr. Elmar Löckenhoff: Die Bemessungsgrundlage und Mindestlebensdauer für PE-Druckrohre ist die Norm ISO 9080. Hiernach wird die Lebensdauer von thermoplastischen Rohrwerkstoffen durch Extrapolation berechnet. Thermoplastische Rohre müssen unter den in den Anwendungsnormen festgelegten Betriebsbedingungen mindestens 50 Jahre standhalten. Diese normativ festgelegte Lebensdauer darf aber nicht mit der tatsächlichen Nutzungsdauer eines PE-Druckrohrsystems verwechselt werden. In der Praxis können wir eine Lebensdauer von mehr als 100 Jahren erwarten. Zu nennen sind hier z.B. tatsächliche Betriebsdrücke unterhalb von 10 bar über die gesamte Nutzungsdauer und tatsächliche Bodentemperaturen unterhalb von 20 °C. Außerdem liegen die Toleranzen für Wandstärken immer im „Plusbereich“.

Wie ist es um die Verarbeitbarkeit und das Handling vor Ort auf der Baustelle bestellt?
Hier existieren keine Unterschiede zu anderen Polyethylenrohren. Die Rohrleitungsteile sind mit geeigneten Fahrzeugen zu befördern und sachkundig auf- und abzuladen. Der Lagerplatz auf der Baustelle sollte möglichst frei von Steinen, scharfkantigen Gegenständen und ähnlichem sein. Trinkwasserrohre müssen stets so gelagert werden, dass sie innen nicht verunreinigt werden können. Beim Befördern der Rohre auf der Baustelle ist das Schleifen über den Boden zu verhindern. Polyethylen ist aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften bis zu einer Temperatur von ca. -20 °C gegen stoß- und schlagartige
Ist der Einsatz von PE 100-RC Rohren in der Trinkwasserversorgung physiologisch unbedenklich?
 Können keine Kunststoffbestandteile in das Trinkwasser gelangen und dieses verunreinigen?

Gemäß § 17 der Trinkwasserverordnung werden in Deutschland Materialien und Werkstoffe auf ihre hygienische Eignung geprüft und bewertet. Dies geschieht auf Basis der entsprechenden Bewertungsgrundlagen des Umweltbundesamtes. Aktuell haben wir es mit der Situation zu tun, dass die Überarbeitung der europäischen Trinkwasserrichtlinie im Entwurf erstmals Grenzwerte für Nonylphenol und Bisphenol A vorsieht. Aber weder beim Umweltbundesamt noch bei den DVGW-eigenen Forschungsinstituten existieren Hinweise darauf, dass die für Kunststoffrohre aus PE 100-RC eingesetzten und nach § 17 der Trinkwasserverordnung geprüften sowie bewerteten Materialien hygienisch für den Einsatz im Trinkwasserbereich ungeeignet sein könnten. Somit gibt es nachweislich keinen einzigen Anhaltspunkte dafür, dass diese Stoffe im Rohrwerkstoff PE enthalten sind und theoretisch ins Trinkwasser migrieren könnten. Der KRV hat jüngst Kunststoffrohre aus PE 100-RC auf mögliche Konzentrationen von Nonylphenol im Trinkwasser gemäß KTW-Leitlinie prüfen lassen. Die Untersuchungen wurden vom Hygiene-Institut des Ruhrgebiets und dem TZW Technologiezentrum Wasser durchgeführt. In keiner der untersuchten Proben wurde Nonylphenol nachgewiesen. Aus Vorstehendem ergibt sich, dass Kunststoffrohrsysteme aus PE 100-RC alle an sie gestellten hygienischen Anforderungen erfüllen und bedenkenlos eingesetzt werden können. Ein weiterer Punkt ist das Thema Mikroplastik. Auch hier gibt es keine Untersuchungsergebnisse, die darauf hindeuten, dass das Rohrleitungssystem ein zusätzlicher Eintragspfad für Mikroplastik sein könnte.

Wie begegnen Sie kommunen, die diesbezüglich Bedenken haben?
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 Alle Produkte werden im Rahme der Zertifizierung von akkreditierten Prüfstellen auf ihre trinkwasserhygienische Eignung überprüft. Gleiches gilt für die mechanischen Eigenschaften. Somit sprechen wir bei Rohrsystemen aus PE 100-RC von einem sicheren, gesundheitlich vollkommen unbedenklichen Produkt. Und falls Kommunen diesbezüglich tatsächlich Bedenken äußern sollten, treten wir jederzeit sehr gerne mit ihnen in einen konstruktiven und informativen Dialog ein.

Welche Aktivitäten finden rund un die Normung und Qualitätssicherung von Kunststoffrohrsystemen statt?

Kunststoffrohrsysteme sind standardisierte Produkte, sie werden nach DIN-, CEN- und ISO-Normen hergestellt. In diesen Normen sind auch die Methoden und Prüfungen zur Qualitätssicherung festgelegt. Darüber hinaus werden die hygienischen Anforderungen an Materialien und Produkte im Kontakt mit Trinkwasser – das habe ich schon erläutert – in Deutschland vom Umweltbundesamt festgelegt. Dieses führt keine Zertifizierungen durch und stellt entsprechend keine Zertifikate aus. Auch gibt es keine Produktzulassungen ähnlich einer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) für Bauprodukte und Bauarten, wie sie das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) als deutsche Zulassungsstelle erteilt. Durch das Umweltbundesamt werden ausschließlich die grundlegenden und speziellen Anforderungen zur hygienischen Beurteilung von Werkstoffen und Materialien erarbeitet. Die Einhaltung der hygienischen und technischen Anforderungen wird heute in der Regel durch das Zertifikat einer für den Trinkwasserbereich akkreditierten Zertifizierungsgesellschaft bestätigt.

Wie nachhaltig sind Kunststoffrohrsysteme? Wie steht es um den Recyclinganteil der Rohrsyteme?

 Im Bereich der Trinkwasserversorgung wird aus Gründen der Hygiene und des Gesundheitsschutzes ausschließlich Neuware und keine Rezyklate verarbeitet. In anderen Rohranwendungsbereichen können und sollen selbstverständlich vermehrt Rezyklate zum Einsatz kommen.

Herr Dr. Löckenhoff, herzlichen Dank für das Gespräch!